Standpunkte
Vorab einige Statements, die mir besonderes wichtig sind:
- Ja – ADHS hat eine organische Ursache. Weder die Eltern noch die Betroffenen selbst sind schuld daran.
- Nein – das bedeutet nicht, dass man „da nichts machen kann“. Es gibt bewährte Hilfs- und Therapiemöglichkeiten. Eltern, Partner und Betroffene selbst können konkrete Schritte tun, um das tägliche Leben mit ADHS zu verbessern.
- Ja – in vielen Fällen helfen Medikamente. Wenn eingesetzt, dann sind diese jedoch kein Wundermittel, sondern nur ein Baustein von vielen in einem multimodalen Therapieansatz, der individuell auf den Betroffenen zugeschnitten sein soll.
- Nein – es geht dabei nicht darum, die Persönlichkeit des betroffenen Menschen zu verändern. Menschen mit ADHS haben häufig besondere Stärken und sehr sympathische Wesenszüge. Es kommt darauf an, sich Bedingungen zu schaffen, unter denen diese besonders gut umgesetzt und gezeigt werden können.
- Ja – auch Erwachsene können von ADHS betroffen sein. ADHS ist keine Kinderkrankheit – die Symptome ändern sich zwar mit zunehmenden Alter, bleiben aber – unbehandelt – in vielen Fällen problematisch.
Begriffsklärung und Symptome
Die Abkürzung ADHS steht für Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, auch als Hyperkinetische Störung/Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung bezeichnet. Das Kernsymptom ist die Aufmerksamkeitsstörung. Diese kann von Hyperaktivität begleitet sein (ADHS – der oft sogenannte „Zappelphilip“), aber auch weitgehend alleine vorhanden sein (ADS – „Hans-Guck-in-die-Luft“, die eher stillen „Träumerchen“).
Typische Symptome sind eine
- beeinträchtigte Aufmerksamkeit (wie Konzentrationsprobleme, Ablenkbarkeit/Reizoffenheit, Tagträumereien, etc.)
- Hyperaktivität (wie körperliche Unruhe, häufiger Wechsel von Tätigkeiten, starker Bewegungsdrang/Zappeln, etc.) und
- Impulsivität (wie vorschnelle, unüberlegte Handlungen mit negativen Folgen, Treffen von Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“, Regelverstöße und Konflikte – oft unbeabsichtigt).
Häufig wird ADHS sehr verkürzt als Lernstörung bzw. reines Schulproblem betrachtet. Dabei wird übersehen, dass betroffene Menschen vielfach unter – oft unbeabsichtigten und als ungerecht empfundenen – Konflikten mit ihren Mitmenschen leiden. Viele Betroffene entwickeln ein negatives Selbstbild, wenn sie ihre Ziele nicht erreichen oder ihr intellektuelles Potential nicht umsetzen können. Einige leiden auch unter als sehr stark erlebten Gefühlen und Stimmungsschwankungen. Leider ist auch noch viel zu wenig bekannt, dass ADHS auch im Erwachsenenalter häufig noch zu erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität führen kann. Oft genannte Bereiche sind bspw. Probleme in der Selbstorganisation, berufliche Schwierigkeiten, erhöhte Unfallneigung und Probleme in der Partnerschaft.
Übergreifendes Erklärungsmodell „Störung der Selbstregulation“ („Alles oder Nichts“)
Dem Wesen nach stellt ADHS nach neuen wissenschaftlichen Ansichten eine Störung der Selbstregulation dar. In allen Bereichen, die viel Selbststeuerung, Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung erfordern, kann es zu Problemen kommen. Angenehme und unangenehme Emotionen können nur schwer reguliert werden. Nicht selten berichten Betroffene von Gefühlslagen in den Extremen und starken Stimmungsschwankungen („himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“). Häufig steht der Lustgewinn (bzw. die Unlustvermeidung) stark im Vordergrund. So kommt es immer wieder zu impulsiven, gefühlsbestimmten Handlungen/Entscheidungen. Dabei werden negative Folgen – obwohl „eigentlich“ absehbar – nicht berücksichtigt. Auch hinsichtlich des Kernsymptoms Aufmerksamkeitsstörung lässt sich beobachten, dass viele von ADHS Betroffene sich durchaus „konzentrieren“ können und sich ausdauernd und „fleißig“ mit Themen beschäftigen, welche sie interessieren und spannend sind. Dies kann sogar so übertrieben geschehen (Hyperfokussierung), das andere wichtige Ziele vernachlässigt werden. Oder wegen übertriebener (auch perfektionistischer) Beschäftigung mit Nebenaspekten die eigentliche Aufgabe aus dem Auge verloren wird. So gesehen handelt es sich bei ADHS nicht um eine generell beeinträchtigte Aufmerksamkeit, sondern um die eingeschränkte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zielgerichtet (selbstgesteuert) einzusetzen. Ähnliches gilt für das Aktivitätsniveau – auch hier gibt es oft nur entweder „Vollgas“, hohe Aktivität bis zur Erschöpfung, maximale Leistungsfähigkeit oder „Vollbremsung“, totale Passivität und Ineffizienz.
Therapieansatz
Im Wesentlichen geht es mir darum, Sie dabei zu unterstützen:
- möglichst viel über ADHS zu erfahren und hilfreiche Techniken und Strategien zu erlernen
- sich selbst (bzw. Ihr Kind/Ihren Partner) in Hinblick auf ADHS besser kennenzulernen
- Stärken und Schwächen zu entdecken und Bedingungen zu schaffen, unter denen individuelle Ziele und Erfolge erreicht werden können
- Zufriedenheit mit der eigenen Person zu entwickeln oder auszubauen
- ein positives, erfolgreiches Leben mit ADHS zu führen
Dies kann konkret sehr unterschiedlich aussehen. ADHS hat eine organische Ursache, die jeweilige Ausprägung und individuelle Beeinträchtigung hängen jedoch auch stark von psychischen und sozialen Faktoren ab (bio-psycho-soziales Modell). Daher ist ein auf den Einzelfall abgestimmter multimodaler Therapieansatz wichtig. So können bspw. pädagogische und psychotherapeutische Maßnahmen, die Beratung von Eltern und Bezugspersonen, Programme zur Förderung der Sozialen Kompetenz und Konzentrationsfähigkeit, Elterntrainings und Selbsthilfegruppen sinnvoll sein. Bei Erwachsenen haben sich auch ADHS-Coaching und Selbsthilfegruppen für Betroffene als sehr hilfreich erwiesen. Einseitig auf Medikation ohne Berücksichtigung der psychosozialen Aspekte zu setzen ist daher genauso wenig geeignet, das Leben betroffener Menschen zu verbessern wie eine generelle Ablehnung von Medikamenten. In vielen Fällen profitieren Menschen sehr von einer ADHS-Medikation und manchmal schafft diese erst die Basis für therapeutische und pädagogische Interventionen. Eine umfassende Information über ADHS und Behandlungsmöglichkeiten sowie ein offener Umgang mit Vorbehalten und Sorgen von Betroffenen und Bezugspersonen ist mir sehr wichtig. Wenn eine Medikation erfolgt, arbeite ich vertrauensvoll mit „ADHS-erfahrenen“ Ärzten zusammen.